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Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Roland Obst

Aktuelle Aufführungen

Musical-Glück im Stadttheater

THE PIRATE QUEEN
(Alain Boublil/
Claude-Michel Schönberg)

Besuch am
14. Mai 2016
(Premiere am 29. April 2016)

 

Theater Nordhausen

Momentan ist viel von der Krise des Musicalgiganten Stage Entertainment die Rede. Das Theater am Potsdamer Platz in Berlin wird geschlossen und auch die hauseigene Musical-Ausbildungsstätte soll eingestellt werden. Noch sind die perfekt zugerichteten, technisch aufwändigen und auf Hochglanz polierten Shows, wie Phantom of the Opera, Tanz der Vampire oder Ich war noch niemals in New York an vier deutschen Standorten zu sehen, die, wenn ihre Laufzeit beendet ist, an das nächste Stage-Theater weiterwandern. Dabei kann Musical – was manchmal vergessen wird – auch kleiner und feiner kredenzt werden. Beispielsweise im Stadttheater Nordhausen.

Das südlich des Harzes gelegene Dreispartenhaus, das finanziell keine großen Sprünge machen kann, hat sich an eine deutschsprachige Erstaufführung gewagt und gewonnen. The Pirate Queen von Alain Boublil und Claude-Michel Schönberg, die 2007 am Broadway floppte, wird in Nordhausen zu einem Überraschungserfolg. Das Musical spielt in Irland zur Zeit Elisabeth I. und verarbeitet sehr frei einen historischen Stoff. Titelfigur ist die emanzipierte Seefahrerin Grace O’Malley, die als erste Frau Führerin eines Clans wurde, gegen die englische Vorherrschaft ankämpfte und bei einer Audienz mit der Queen – ein Höhepunkt im Musical – erfolgreich für irische Rechte eintrat. The Pirate Queen ist, wie auch Boublils und Schönbergs Dauerbrenner Les Misérables und Miss Saigon, ein Musical der großen Leidenschaften, die durch die opulenten Melodien im Breitwandsound und in diesem Fall mit irischem Flair noch verstärkt werden.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Produktion in Nordhausen macht zunächst einmal optisch starken Eindruck. Wolfgang Kurima Rauschning zaubert mit viel Einfallsreichtum einen Schiffsbug und einen prächtigen Audienzsaal der Queen auf die kleine Bühne, eine Augenweide sind dazu die Kostüme im Stil der Zeit von Anja Schulz-Hentrich. Das Ambiente ist wie geschaffen für die temporeiche Inszenierung von Iris Limbarth. Die Regisseurin und Choreografin sorgt für einen flüssigen Ablauf der emotionalen Handlung, die sie durch virtuose Fechtszenen, irische Volks- und Stepptänze, die vom Ballett mitreißend umgesetzt werden, immer wieder auflockert.    

Foto © Roland Obst

Sämtliche Rollen sind, von zwei Ausnahmen abgesehen, aus dem Ensemble besetzt, das damit seine gattungsübergreifende Kompetenz beweist. Wie etwa Thomas Kohl, der dem Vater charaktervolle Statur gibt und Anja Daniela Wagner, die als Clan-Älteste anrührt. Oder Desirée Brodka, die eine ehrfurchtseinflößende, aber keineswegs herzlose Elisabeth mit viel vokaler Brillanz verkörpert. David Johnson, normalerweise Chormitglied, tritt als Graces verräterischer Ehemann so selbstsicher und überzeugend auf, dass man kaum glauben mag, dass er in der wichtigen Rolle solistisch debütiert. Bleiben die beiden Gäste: Jan Rekeszus, schon optisch ein Bilderbuchheld, beweist mit seiner sympathischen Ausstrahlung und klangschönen Stimme, dass er 2013 völlig zu Recht den Bundeswettbewerb Musical/Chanson gewann. In Corinna Ellwanger hat er eine Grace an seiner Seite, die durch szenische Präsenz und gesangliche Kraft das irische Energiebündel mit Herz rundum glaubhaft macht.

Im Orchestergraben waltet Markus Popp sachkundig über die nur elf Instrumentalisten des Loh-Orchester Sondershausen, zu denen sich Keyboards, Gitarren und Dudelsack gesellen. Durch die geschickte Tonregie von Dierk von Domarus erzeugen sie gemeinsam eine effektvolle voluminöse Klangpalette.

Begeisterung im ausverkauften Haus. In der kommenden Spielzeit wird The Pirate Queen wieder aufgenommen. Das Theater wartet dazu mit einem weiteren Leckerbissen auf. Für November ist die deutschsprachige Erstaufführung der Zarzuela Luisa Fernanda angekündigt. 

Karin Coper