Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Michael S. Zerban - Foto © Lennart Rauße

Kommentar

Abschied von der Kultur

Wenn einer Stadt die Bürger davonlaufen, ist das für die Stadtoberen ein Alarmsignal. Und dann muss der Oberbürgermeister sich etwas einfallen lassen, wie er die Stadt so attraktiv gestaltet, dass seine Wähler bleiben oder womöglich neue kommen. In Hagen geht man andere Wege.
Dieses Theater haben nicht nur Kritiker aus ganz Deutschland liebgewonnen. - Foto © Theater Hagen

Die Stadt Hagen wird es mit ihren nur marginal behobenen Bausünden der Nachkriegszeit in absehbarer Zeit kaum in die Bestenliste attraktiver Innenstädte schaffen. Mit Schulden in Milliardenhöhe lassen sich ohnehin kaum große Sprünge wagen. Seit 2005 haben zehntausende Bürger und damit Steuerzahler die Stadt verlassen. Der Trend zeigt nach unten. Und was macht der Deutsche, wenn es ein Problem gibt? Er gründet eine Arbeits- oder moderner Projektgruppe. Auf städtischer Ebene heißt die meist Marketinggesellschaft und schafft die attraktive Infrastruktur, die neue Bürger anzieht und die alten zufrieden verharren lässt. In vielen Städten hat das funktioniert. So wird das Stadtsäckel gefüllt, die Schulden werden vermindert und der Oberbürgermeister wird wiedergewählt.

Zugegeben, Hagen hat nicht so viel Infrastruktur, mit der die Stadt punkten kann. Aber sie hat ein Theater. Ein kleines, gemütliches Stadttheater. So, wie es sich für eine Universitätsstadt gehört. Ja, Universität. Denn Hagen ist der Sitz der Fernuniversität. Und der Sitz des Stadttheaters. Das Theater Hagen ist weit über die Region hinaus bekannt. Es hat einen Ruf als Sprungbrett. Hier kommen gerne talentierte Sänger her, um sich für die großen Bühnen dieser Welt zu profilieren. In diesem Theater arbeiten unermüdlich engagierte Menschen, die alles daransetzen, den Bürgern der Stadt Hagen ein Bühnen-Niveau zu bieten, das sich vor anderen, auch größeren Theatern nicht zu verstecken braucht. Und nicht nur denen. Denn längst hat sich herumgesprochen, dass eine Reise nach Hagen lohnt, um dort Musiktheater, Tanz, Theater oder auch Jugendtheater zu erleben.

Einen großen Anteil an diesem – ja, man kann sagen außergewöhnlichen – Erfolg hat neben dem Team Intendant Norbert Hilchenbach, der seit 2007 dem Haus vorsteht und 2017 in den Ruhestand geht. Hilchenbach hat, finanziell betrachtet, keine sehr glückliche Zeit in Hagen erlebt. Von 2002 bis 2017 musste das Theater Kürzungen in Höhe von etwa dreieinhalb Millionen Euro hinnehmen. Über viele Jahre hinweg war von Hilchenbach nichts anderes zu hören als „Wir schaffen das“. Bis zur letzten Kürzung. Dann sagte er genauso lakonisch „Jetzt ist Schluss. Mehr ist nicht zu stemmen“. Das sagte er bei einem Etat von rund 13,5 Millionen Euro jährlich. Übrigens eine Budgethöhe, bei der manchem Betreiber eines Bespieltheaters der kalte Schweiß ausbricht, weil er weiß, dass er das Programm in der gewünschten Qualität damit kaum noch gewährleisten kann. Mit diesem Miniatur-Etat wird in Hagen tatsächlich noch produziert.

Aber jetzt hat der Stadtrat einen Schlussstrich gezogen. Das haben ihm im Vorfeld die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger und der Deutsche Bühnenverein bescheinigt. Mehrfach forderten sie vergeblich Oberbürgermeister Erik O. Schulz zum Dialog auf. Auch ein Protestbrief ehemaliger Hagener Künstler verhallte ungehört. Vergangene Woche hat der Stadtrat beschlossen, den Zuschuss für das Theater ab 2018 auf 13,5 Millionen Euro einzufrieren. Außerdem ist ein Prozent der Lohnsteigerung auszugleichen, was für das Theater Mehrausgaben von etwa 130.000 Euro jährlich bedeutet. Ob die Politiker sich über die Tragweite ihres Beschlusses im Klaren sind, ist nicht bekannt. Die Kandidaten für die Intendanten-Nachfolge wissen, dass das nicht seriös zu schaffen ist. Sie haben ihre Bewerbung zurückgezogen.

Die Politik stellt sich taub, blind und stumm. Dass Kommunalpolitiker im Machtrausch Kulturinstitutionen vor die Wand fahren, ist kein neues Phänomen. Was neu zu sein scheint, ist die Ignoranz, mit der die Verantwortlichen „weitermachen“, als sei nichts geschehen. „Wir gehen davon aus, das die zukünftige künstlerische Leitung ein stimmiges Gesamtkonzept für das traditionsreiche Haus und seine Mitarbeiterschaft gemeinsam erarbeiten wird“, sagt allen Ernstes Sven Söhnchen, Aufsichtsratsvorsitzender der gemeinnützigen Theatergesellschaft. Außerdem beschließt der Aufsichtsrat – na, was wohl? Eine Projektgruppe zu gründen, um ein Konzept zu erarbeiten. Bei so viel, drücken wir es positiv aus, Zweckoptimismus bleibt nur noch unverständliches Kopfschütteln. Aber der Aufsichtsrat setzt noch einen drauf – und da wird es albern. Allen Ernstes lässt er verkünden, man habe sich auf einen Kandidaten aus „einem hochkarätigen Bewerberfeld“ für die GMD-Nachfolge – Generalmusikdirektor Florian Ludwig hört mit Hilchenbach auf – einigen können und wolle nun Gespräche mit dem Wunschkandidaten aufnehmen. Halten diese Aufsichtsratsmitglieder eigentlich alle Musiker für dumme Leute?

Die Politik sprengt für ein Taschengeld – angesichts einer Milliardenverschuldung – einen Eckpfeiler städtischer Infrastruktur weg. Dass Schulz wirklich weiß, was er da gerade tut, ist nicht ernsthaft anzunehmen. Denn selbstverständlich wird jeder der 300 Mitarbeiter des Theaters, sofern er nicht durch familiäre Bindungen gezwungen ist zu bleiben oder wieder bei der Stadt unterkommt, in dieser Situation das Weite suchen. Die bisherigen Arbeitsbedingungen haben die Mitarbeiter ohnehin schon an, wenn nicht weit über ihre Grenzen gebracht. Jetzt hat der Stadtrat den Damm gebrochen. Wer sich jetzt noch in Hagen am Theater bewirbt, ist so dumm, dass er sofort genommen werden wird.

Und weil neuerdings Kulturinstitutionen so gern wie unsinnig mit Wirtschaftsunternehmen verglichen werden, und um es für dumm gehaltene Musiker und Intendantenanwärter klar zu sagen: Zu diesem Zeitpunkt müsste ein Unternehmen vermutlich Insolvenz anmelden, wollte es sich nicht einer Konkursverschleppung strafbar machen. Da sind wir auf das Konzept der Projektgruppe jetzt schon sehr gespannt.

Was fast noch verwunderlicher als die politischen Entscheidungen ist, ist allerdings die Haltung der Fernuniversität, die sich sogar hat in den Claim der Stadt schreiben lassen. Man muss Ada Pellert, Rektorin der ersten und einzigen staatlichen Fernuniversität in Deutschland, die Frage stellen dürfen, ob solch ein Standort bei Verlust der wichtigsten kulturellen Grundlage für eine Universität tatsächlich noch zu halten ist.

Übrigens sind Stadtratbeschlüsse – entgegen gern anders geschaffener Eindrücke in der Tageszeitung – weder endgültig noch unumstößlich. Eine Chance für Hagen.

Michael S. Zerban

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.