Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bärbl Hohmann

Aktuelle Aufführungen

In völliger Finsternis

KOMA
(Georg Friedrich Haas)

Besuch am
28. Mai 2016
(Premiere am 27. Mai 2016)

 

Schwetzinger Festspiele,
Rokokotheater

Gleißendes Scheinwerferlicht blendet die Zuschauer im Schwetzinger Rokokotheater. Auf einen den kompletten Bühnenraum ausfüllenden Goldbilderrahmen wird das Parkettpublikum projiziert. Nach und nach verblassen die Konturen der Besucher im Blick der Betrachter, als würden sie im Bewusstsein ausgelöscht, bis nur noch die Bestuhlung sichtbar ist. Dann erheben sich die ersten Klänge aus dem Orchestergraben und es wird stockdunkel. Damit beginnt Koma, das Abschlusswerk der Schwetzinger Opern-Trilogie des österreichischen Komponisten Georg Friedrich Haas.

Immer zum Abschluss der Festspielsaison und stets bei Gewitter wurden Haas Opern-Neulinge in Schwetzingen uraufgeführt: 2011 Bluthaus, ein Drama um sexuelle Ausbeutung, 2013 Thomas, ein Musiktheater über eine persönliche Katastrophe durch den Verlust des Lebensgefährten, jetzt Koma, ein Erfahrungszustand zwischen Leben und Tod.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Dieser Reigen seiner Opern belegt Haas‘ Intention. Ihn reizen Extremzustände mitten aus den Leben heraus. Über die Kunst strebt er nach Wahrhaftigkeit, Berührung, Betroffenheit. Seine Mittel speisen sich aus der Verdichtung und Konzentration des musikalischen Materials. Streicher und Bläser setzen technisch keine Grenzen, das Klavier aber wird umgestimmt, um ein uneingeschränktes Tonspektrum jenseits des temperierten Klangrahmens verfügbar zu haben. In diesem scheinbaren Konstrukt aus Viertel- und Achteltönen auf der überraschend einfachen Basis schlichter Dominant-Sept-Non-Akkordik erfährt der Zuhörer eine überaus suggestive Klanglichkeit. Davon schwärmt Haas´ Opern-Trilogie-Librettist Händl Klaus und ist überzeugt, dass diese viel dichtere Musik das Wort eigentlich nicht braucht. Auch deswegen bleibt das Gesagte der Protagonisten in Koma eher archaisch.

Foto © Bärbl Hohmann

Zwei Stunden lang verfolgt der Zuschauer einen Zustand, der typisch ist für die Situation, die sich am Bett einer Koma-Patientin auf der Intensivstation in einem Vakuum der Angst ausbreitet. Regisseur Karsten Wiegand setzt auf eine bildhafte Schau und gesteht den Darstellern nur minimalistische Bewegungen zu. Bärbl Hohmann fasst den Bühnenraum in hintereinander gereihte Goldbilderahmen ein, um diese statische Darstellung noch zu unterstreichen. In wiederkehrenden Wechsel dazu erscheint in einer überdimensionierten Projektion auf einem Gaze-Vorhang eine Ansicht auf die nackten Füße und den sich gelegentlich drehenden Schädel der Patientin.

Michaela starrt scheinbar reglos und mit offenen Augen durch die sie umgebenden Menschen hindurch. Ob ein Unfall oder ein Suizidversuch diesen Zustand auslöste, bleibt offen. Um sie herum kreisen Ärzte und ihre Familie, Michael, ihr Ehemann, ihre Schwester Jasmin und deren Ehemann Alexander, mit dem Michaela ein Liebesverhältnis hatte und der auf der Bühne als Countertenor auch die Rolle der Mutter ausfüllt sowie die namenlose Tochter, die seit dem Unglück nicht mehr spricht.

Was alle Protagonisten auf der Bühne verbindet, ist die Ungewissheit über den Grad des Bewusstseins der Koma-Patientin. Das provoziert tragikomische Situationen. Nüchtern distanziert diskutieren die Ärzte den Wachkoma-Verlauf, während die Angehörigen gemeinsam Erlebtes in Erinnerung rufen. In fragmentarischen Sätzen und Wörtern formulieren sie Traumatisches wie die Schläge der Mutter, erzählen vom Verlust des Elternhauses, den Tod der Katze, Michaelas Scheitern als Lehrerin und durchleiden schließlich deren Untergang im eiskalten See. Gleich zwei Mal scharen sie sich zu einer Trauergemeinde zusammen und formen mit dem stummen Kind auf den Armen eine Pietà.

Jenseits dieser sichtbaren Szenerien und gut zwei Drittel der Oper ereignen sich in „Finsternis“. Haas hat diese Wirkung mit Kammermusik erprobt. In absoluter Dunkelheit lenkt keine Bewegung ab, die Aufnahmefähigkeit ist einzig auf die Musik und die Sprache konzentriert. Für die Oper, die im Grunde ein Bühnenwerk sein soll, durchaus ein Wagnis. Immerhin bleibt die Wirkung nicht aus. Befreit von der Wahrnehmung von sichtbaren Abläufen, Körpersprache und Dekorationen fühlt sich der Zuhörer über die Musik in die Ratlosigkeit der Betroffenen hinein und lässt sich von der Expressivität der durchaus tonal anmutenden Klangwogen erfassen. Irgendwann jedoch greift die Langatmigkeit. Spätestens dann beschäftigt den Zuhörenden nur noch die phänomenale Leistung der Ausführenden.

Sicher ist es für Operndarsteller selbstverständlich, ihre Partien auswendig darzubieten. Im dunklen Raum gelingt das aber mit noch größerer Bravour, weil sie von der schauspielerischen Darstellung entbunden sind. Das beweist Ruth Weber als Michaela. Vom höchsten Rang im Schwetzinger Theater aus gestaltet sie ihre auf- und absteigenden Gesangsmuster mit volltönender Wärme, immer gleich emotional unbewegt und schlichtweg schön. Die Protagonisten auf der Bühne erreichen die Zuhörenden über mit Mikrophon verstärkte Stimmen. Die Wandlungsfähigkeit von Countertenor Daniel Gloger, der im Falsett auch der Mutter seine Stimme leiht, fasziniert. Lini Gong gestaltet mit strahlender Klarheit, Akkehard Abele agiert unaufgeregt souverän. Bei aller sängerischen Leistung erzielen sie durch die Verstärkung eine gewisse Künstlichkeit, die sich irritierender Weise vom natürlichen Orchesterklang absetzt.

Ein Orchester im völlig dunklem Raum spielen zu lassen, ist eine gigantische Herausforderung. Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart in kleiner Besetzung spielt grandios. Ohne geringstes Zögern und fern eines Anflugs an Unsicherheit meistern die Musiker die Übergänge zwischen völliger Dunkelheit und den im Textbuch markierten Zwischenstufen aus Tageslicht und Schattenriss, die ihnen kurzzeitig den Blick in die Noten und auf Jonathan Stockhammer am Pult gestatteten.

Haas‘ Koma zählt nicht zu seinen überzeugendsten Werken, hinterlässt aber einen starken Klang-Eindruck. Entstanden in Kooperationen mit dem Staatstheater Darmstadt, wird Koma im Juni und Juli dieses Jahres noch vier Mal aufgeführt.

Christiane Franke