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Foto © Musiktheater im Revier

Hintergründe

Ein Sommernachts-Albtraum

In nur zwei Wochen kreieren und produzieren zehn Gelsenkirchener Schüler eine eigene Fassung von Shakespeares Sommernachtstraum mit viel Musik.
Foto © Musiktheater im Revier

Theaterbesuche machen Spaß, Theaterspielen noch mehr. Unter dieser Devise nutzen einige Häuser die Schulferien, um theaterinteressierte Schüler für ferienbezogene Projekte zu gewinnen. So auch zum vierten Mal das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier, das jetzt das Ergebnis ihres jüngsten, in den Osterfreien erstellten Projekts im Kleinen Haus mit großem Erfolg präsentierte. Gelsenkirchen bietet jungen Leuten ab vierzehn Jahren in den Osterferien eine Plattform, in den Herbstferien Kindern bis vierzehn Jahren. Am vierten Versuch beteiligten sich in diesem Jahr zehn Schülerinnen und Schüler aus allen Schulformen an einer eigenen, sehr eigenen Fassung von Shakespeares Sommernachtstraum. Den Anstoß gab die Produktion von Brittens gleichnamiger Oper im Großen Haus, die am Anfang der Saison große Beachtung fand.

Shakespeare und der Tierschutz

Im Oktober traf sich die Gruppe bereits prophylaktisch, um die Weichenstellung für das Osterprojekt vorzunehmen. Fünf machen schon zum zweiten Mal mit, Lukas Rohrmoser, der mit einer besonderen Moderatoren-Aufgabe betraut ist, sogar schon zum dritten Mal. Einmal im Monat traf man sich zu weiteren Vorbereitungen, bevor in den Osterferien die Intensivphase einsetzte, die bis zur Aufführung mit viel Zeit und Arbeit durchgezogen wurde. Musik- und Theaterpädagogin Ulrike Czermak unterstützt dabei die Vorschläge und Anregungen der jungen Leute, auch wenn sie sich weit von bestehenden Vorlagen entfernen. Im Falle Shakespeares erschweren die Sprache und etliche mythologische und historische Bilder und Anspielungen, Bezüge zur Lebenswelt der Schüler herzustellen. Sogar ein Selbstläufer wie die derben Handwerker-Szenen erschließen sich der Jugend nur schwer, da sie mit dem Spiel um Pyramus und Thisbe nicht viel anfangen können. So verwandeln sich die Handwerker in Gelsenkirchen flugs in eine Tierschutzorganisation, die ihre schützende Hand über die merkwürdigen Kreaturen des Spiels hält. 

Puck blättert im Reclam-Heft

Geschaffen wurde eine ganz eigene Version, halb Schauspiel, halb Revue, in der es weniger um die irritierenden und desillusionierenden Liebesspiele und -ränke des Originals geht, sondern um Reflexionen zur Freiheit. Das führt zu einer Szenenfolge, die einige logische Brüche aufweist, aber viel Spielraum für verschiedene Spielformen des Theaters bietet. Freiräume, die die jungen Leute mit viel Engagement und Spiellust füllen.

Die Handlung: Eine Schulklasse probt, relativ lustlos und mühevoll, Shakespeares Sommernachtstraum ein. Als ihre Lehrerin, Dr. Müller, versetzt wird, nehmen die jungen Leute ihr Theaterprojekt selbst in die Hand. „Wir machen unser eigenes Ding“ – und aus dem Sommernachtstraum wird ein „Sommernachts-Albtraum“. Und was für einer: „Wir machen was mit Vampiren!“, „Ich will eine Showtreppe“. Gemeinsam werden Ideen diskutiert, gesammelt, auf die Probe gestellt. Plötzlich liegt der Athener Wald in Slowenien, Puck blättert im Reclam-Heft, alte und neue Figuren treffen in einem verlassenen Haus aufeinander. Oberon plädiert für ein „Freedom“-Projekt, die Handwerker gründen einen Tierschutzverein.

Alle Texte schrieben die Schüler selbst, wobei Shakespeare vor allem als Stichwort- und Zitatenquelle eingebracht wird. Dazu gehört auch ein Rap, bei dessen Umsetzung der Rapper Gio Todaro wertvolle Tipps gab. Und für die szenische Bühnen-Atmosphäre sorgen die Kulissen des derzeit im Kleinen Haus gezeigten Musicals: ein verfallenes Fabrikgelände, das der Fantasie freien Lauf lässt. Es wird gesungen, getanzt, gesprochen, gerappt, man nutzt den Kostümfundus des Theaters für bizarre Kreationen, moderiert, rezitiert im Chor, verwendet Schatteneffekte, spielt mit Lichtkontrasten, fügt eine Aschenputtel-Adaption ein, unterbricht die Handlung immer wieder durch scharfe Schnitte und Brüche, um nicht in einen ungewollten Märchenton zu verfallen. Kurzum: Man bietet auf, was ein Theater bieten kann. Und das mit unbändiger Spiellaune und Experimentierfreude. Spontaneität heißt die Maxime.

Das Publikum war ebenso begeistert wie die Darsteller. Schade, dass das Ergebnis nur einmal gezeigt wird.

Pedro Obiera