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Kulturmagazin mit Charakter

Buch

Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Es beginnt mit einem Handkarren voller Gebeine, der in die Leipziger Thomaskirche geschoben wird. Der Weimarer Thomas Bickelhaupt befasst sich in seinem journalistischen Wirken gern mit Heimat-Themen. Bücher über Thüringen, die Lausitz, aber auch ein Reisebuch zu Johann Sebastian Bach zählen zu seinen Werken. Jetzt hat er ein 72-seitiges Büchlein über den berühmtesten Thomaskantor vorgelegt. Genauer: Über seine Zeit in Leipzig, und das waren immerhin 27 Jahre.

Nach dem anekdotenhaften Einstieg ist Schluss mit lustig. Bickelhaupt präsentiert Zahlen und Fakten im Überfluss über den Musiker und Kantor Bach, aber auch über die Stadt zu Lebzeiten des Komponisten. Auf Seite 39 erfährt der Leser, warum der Autor sich mit Details aus dem Privatleben Bachs zurückhält. Obwohl die doch die Prise einer jeden Biografie sind, zumal wenn sie so konventionell verfasst ist. „Details zum ‚privaten Bach‘ dagegen liegen weitgehend im Dunkeln. Der Organist und Musikforscher Johann Nikolaus Forkel stützte sich 1802 für die erste Bach-Biografie überhaupt vor allem auf die Erinnerungen von Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel“, ist bei Bickelhaupt zu lesen. „Seither ist die große Gemeinde der Bach-Freunde immer wieder dankbar für jedes noch so kleine Detail, in dem Privates aus dem berühmten Haus am Leipziger Thomaskirchhof aufscheint.“ Das ist sicher so, allein der Autor erfüllt die Hoffnung nicht.

Stattdessen gibt es immer wieder Handlungssprünge, die das Verständnis des Textes ebenso erschweren wie die Originalzitate. So berichtet Carl Philipp Emanuel, der Vater habe „bey seinen vielen Beschäftigungen … kaum zu der nöthigen Correspondenz Zeit gehabt, folglich weitläufige schriftliche Unterhaltungen konnte er nicht abwarten. Desto mehr hatte er Gelegenheit mit braven Leuten sich mündlich zu unterhalten, weil sein Haus einem Taubenhauße u. deßen Lebhaftigkeit vollkommen gliche“. Und wer sich mit einem Textmarker bewaffnet, hat bei der Lektüre der Paperback-Ausgabe eindeutig Vorteile. Denn eine Gliederung sucht man hier vergebens.

POINTS OF HONOR
Buchidee
Stil
Erkenntnis
Preis/Leistung
Verarbeitung
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Das Buch im Reiseführer-Format gefällt andererseits mit zahlreichen vierfarbigen Abbildungen und einer unerwarteten Wendung. Denn Bickelhaupt lässt es nicht mit dem Tod des Musikus bewenden, sondern setzt sich auch mit den Versuchen der so genannten Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland auseinander, Johann Sebastian Bach und sein Vermächtnis für sich zu vereinnahmen, um schließlich über die touristische Bedeutung Bachs in der Gegenwart zu berichten.

Damit erfüllt sich der Zweck des Büchleins, das mit Literaturtipps und einer Zeittafel schließt. Für Bach-Kenner gibt es keine nennenswerten Neuigkeiten, als Lesestoff um des Lesens Willen taugt es kaum. Aber wer als Tourist zum ersten Mal Leipzig besuchen will, sollte es als Pflichtlektüre im Reisegepäck haben. Denn mit diesem Buch erschließt sich eine der schönsten Städte Deutschlands noch einmal aus historischer Perspektive. Und Leipzig kann man gar nicht oft genug genießen, egal, in welcher Hinsicht.

Michael S. Zerban