Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Monika Rittershaus

Aktuelle Aufführungen

Frau in Rot

JULIETTE
(Bohuslav Martinů)

Besuch am
28. Mai 2016
(Premiere)

 

 

Staatsoper Berlin

Häufig wird der tschechische Komponist Bohuslav Martinů auf deutschsprachigen Bühnen nicht gespielt. Eine kleine Renaissance aber erlebte in jüngster Zeit seine vom Umfang und Bedeutung her wichtigste Oper Juliette, die in der letzten Saison gleich zweimal – in Zürich und in Frankfurt – aufgeführt wurde. Die Berliner Staatsoper zieht in dieser Spielzeit mit einer prominent besetzten Produktion nach.

Juliette wurde 1938 in Prag uraufgeführt. Entstanden aber ist die Oper in Paris, in jener Stadt, wo Martinů seit 1923 für fast 20 Jahre lebte und deren kulturelle Strömungen ihn faszinierten. Frankreich war damals auch die Hochburg des Surrealismus, der den Komponisten in mehreren seiner Werke beeinflusste. Zustände wie im Traum, merkwürdige und phantastische Begebenheiten, das Changieren zwischen Realität und Unbewusstem, diese Merkmale der surrealen Bewegung, sie spielen in Juliette eine Rolle.

Die Oper handelt von Michel, einem Mann, der in einer fremden Stadt obsessiv nach einer Frau sucht, die er nur einmal gesehen hat, und dabei auf mysteriöse Menschen trifft. Die ersehnte Begegnung mit ihr endet im Streit, bei dem er sie scheinbar tötet. In einem kafkaesken Epilog kommen noch einmal alle skurrilen Figuren zusammen. Sie fahnden nach einer idealen Frau namens Juliette, doch eine Erklärung für die Tat bieten sie nicht.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Claus Guth inszeniert Juliette als packenden Mystery-Krimi, bei dem vieles in der Schwebe bleibt. Leidet Michel, der wie ein clownesker Wanderer die Welten durchstreift, an Halluzinationen, oder ist es ein Traum, in dem sich Realität und Phantasie vermischen? Die Einheitskulisse von Alfred Peter hat einen großen Anteil an der Faszination des Abends. Ein unmöbliertes, weißes Zimmer mit unzähligen Öffnungen, aus denen Menschen und Requisiten, virtuos choreografiert von Ramses Sigl, purzeln und wieder verschwinden, wird im zweiten Akt durch überdimensionale Pflanzenblätter zu einem phantastischen Wald und erscheint im dritten, quasi als Erinnerung, in verkleinerter Form. Wenn im letzten Akt Wolken den Bühnenraum diffus vernebeln, entspricht das exakt der nebulösen Atmosphäre des Geschehens. In diesem Land gibt es kaum Farben und dementsprechend sind die Kostüme von Eva Dessecker in Grau- und Schwarztönen gehalten, nur das Kleid von Juliette und Accessoires wie Gürtel oder Rosen stechen in leuchtendem Rot heraus.

Foto © Monika Rittershaus

Für Magdalena Kožená, die die Juliette bereits konzertant gesungen und Fragmente der Oper auf CD eingespielt hat, ist mit der szenischen Realisierung ein Wunsch in Erfüllung gegangen. Und tatsächlich ist sie mit ihrem sinnlich schmeichelnden Mezzosopran, der sich dem oft rezitativischen Sprachfluss der Musik völlig organisch anpasst, und der entrückten Ausstrahlung eine Idealbesetzung. Aber vor allem ist es der Abend von Rolando Villazón, der sich mit diesem Rollendebüt eindrucksvoll zurückmeldet. Denn die Partie des Michel ist ihm nicht nur schauspielerisch auf den Leib geschnitten, sondern sie passt auch vorzüglich zu seinen stimmlichen Möglichkeiten. Die Unbedingtheit, mit der sich der Tenor die Rolle angeeignet hat, wie er als trauriger Clown, Charlie Chaplin ähnlich, durch das Geschehen stolpert und sich dabei vokal keine Schonung auferlegt, ist imposant. Aus dem vorzüglichen Ensemble, das so illustre Namen wie Wolfgang Schöne, Richard Croft und Elsa Dreisig aufweist, macht Thomas Lichtenecker mit seinem butterweichen, geschmeidigen Countertenor nachdrücklich auf sich aufmerksam.

Daniel Barenboim, sonst im Opernbereich eher dem Mainstream zugeneigt, macht sich mit der ihm eigenen Souveränität diese für ihn neue Partitur zu Eigen und entfaltet mit der Staatskapelle alle Pracht der stilistisch üppig wuchernden, magisch dahinströmenden Klangwelt. Nur schallt es gerade im ersten Akt aus dem Orchestergraben manches Mal zu kompakt, so dass die Solisten in zarten Passagen übertönt werden. Doch dann steigert sich das Orchester von Akt zu Akt zu immer schillernderen und glühenderen Farben.

Bravos für Villazón, Kožená und Lichtenecker und insgesamt starker Applaus für eine ambitionierte Opernentdeckung.

Karin Coper